Allein im vergangenen Jahr hat das Suchthilfezentrum Hattingen /Sprockhövel 700 Menschen mit Suchterkrankung geholfen. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht hervor. Die 47-jährige Charlotte aus Hattingen gehört auch dazu.
Charlotte (47) hat gleich noch einen Friseurtermin, deshalb treffen sie sich bei strahlend schönem Wetter am Rathausplatz in Hattingen. „Wir machen bei gutem Wetter gerne unsere Beratungstermine gerne draußen“, sagt Tanja Große Munkenbeck, Leiterin des Suchthilfezentrums Hattingen/Sprockhövel. Dass es sich nicht einfach um ein Treffen zweier Freundinnen handelt, wird deutlich, wenn Charlotte anfängt aus ihrem Leben zu erzählen. „Ich habe zehn Jahre verschenkt, weil ich drogenabhängig war. Ich habe täglich Amphetamine genommen, es gehörte zu meinem Alltag.“ Mit 30 trennte sich die Hattingerin von ihrem ersten Mann, „Ich bin mit 19 schon Mutter geworden, er war meine erste große Liebe. Doch irgendwann hatte ich das Gefühl, etwas verpasst zu haben und dann habe ich mich getrennt“. Charlotte lernte ihren heutigen Noch-Ehemann kennen, „wir sind aber nicht mehr zusammen“ und kam durch ihn in Kontakt zu den Drogen. Ab da begann die Abwärtsspirale.
Charlotte ist eine von 700 Menschen, die im vergangenen Jahr die Hilfe des Suchthilfezentrums in Anspruch genommen haben. „Für Betroffene ist es in der Pandemie besonders herausfordernd, Entlastung zu finden, ohne auf ein Suchtverhalten zurückzugreifen“, erklärt Tanja Große Munkenbeck. „Rückfälle sind dann ein Mittel, um unangenehme oder negative Gefühle zu kompensieren. Umso wichtiger ist es für uns, die persönlichen Einzel- und Gruppenangebote für suchtkranke Menschen und deren Angehörige aufrechtzuerhalten.“ Charlotte hat eigene Methoden entwickelt, wenn sie den Suchtdrang spürt: „Ich trinke jetzt lieber einen Kaffee oder einen Energy-Drink, wenn ich müde werde. Oder ich lege mich einfach auch mal hin und ruhe mich aus.“
Durch Suchtberaterin neue Wohnung gefunden
Wie wichtig der regelmäßige Kontakt zur Suchberaterin ist, weiß Charlotte am besten. „Ohne sie würde ich vieles nicht schaffen“, sagt die 47-Jährige. Die Trennung von ihrem süchtigen Partner, der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, das Finden und Einrichten der neuen Wohnung, Behördengänge. „Bei all diesen Dingen haben wir Charlotte unterstützt. Aber sie traut sich auch weniger zu, als sie tatsächlich kann“, sagt Tanja Große Munkenbeck und klopft ihrer Klientin dabei ermutigend auf die Schulter.
Geschafft hat Charlotte tatsächlich eine Menge: Nach zehn Jahren Drogenkonsum erlitt sie mit 40 Jahren ihren ersten von fünf Schlaganfällen. „Ich lag im Krankenhaus und kam später in die Reha, um alles neu zu lernen. Laufen, sprechen. Da habe ich Angst bekommen und mich gefragt: Was machst du da eigentlich mit deinem Leben?“ Nach dem Entzug nahm sie Kontakt zum Suchthilfezentrum an der Heggerstraße auf. Seitdem treffen sich Charlotte und Tanja Große Munkenbeck einmal pro Woche. „Tatsächlich sind viele unserer Beratungen nicht mehr unbedingt im Suchthilfezentrum selbst. 485 Mal sind wir allein im vergangenen Jahr zu Hausbesuchen rausgefahren, haben Spaziergänge gemacht oder zu Behörden begleitet“, so Große Munkenbeck.
So wie heute auch. Die Sonne scheint und Charlotte blickt optimistisch in ihre neue Zukunft. Durch die Sucht und die Schlaganfälle hat sie gesundheitliche und kognitive Einschränkungen erlitten. Depressionen folgten. In ihren alten Job als Pflegerin kann sie nicht zurück. „Aber eigentlich wünsche ich mir gerade einfach, dass alles so bleibt, wie es ist: Meine kleine Wohnung, meine Gesundheit, meine Arbeit in der Werkstatt für psychisch Erkrankte in Bochum. Ich bin gerade sehr zufrieden“, sagt sie und lächelt zaghaft. Denn einen Wunsch hat sie doch noch: „Durch die Sucht habe ich meine Zähen verloren und die untere Zahnreihe fehlt leider immer noch. Dafür fehlen mir die finanziellen Mittel.“ Vielleicht geht dieser Wunsch bald auch noch in Erfüllung. Sicher ist auf jeden Fall eines: „Ich will nie wieder Drogen nehmen.“
Info-Kasten
- 2021 nahmen 700 Menschen nahmen das Hilfsangebot der Beratungsstelle wahr, 578 davon waren selbst betroffen, 113 kamen als Angehörige. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Hilfesuchenden leicht gestiegen (2020: 686 Hilfesuchende), aber in Summe sind die Beratungszahlen recht stabil.
- Der problematische Konsum von Alkohol und Cannabis führte im vergangenen Jahr am häufigsten zur Kontaktaufnahme. Die meisten Beratungen fanden wie bereits im Vorjahr in der sehr jungen Altersgruppe von 16 bis 25 Jahren statt (135). Dabei steht in dieser Altersgruppe der Konsum von Cannabis im Vordergrund. Aber auch in der Altersgruppe ab 56 Jahren gab es einen Anstieg in den Beratungen (+13 Klienten). Ab 35 Jahren ist Alkoholsucht der häufigste Grund für Beratungsanfragen im Suchthilfezentrum.
- Suchtkranke und Ratsuchende informieren sich bereits heutzutage, such bedingt durch die Pandemie, immer häufiger im Internet über Angebote, kommunizieren über soziale Netzwerke und suchen online nach Informationsmöglichkeiten und kompetenter Beratung. Deshalb wird zunehmend der Ruf nach einer digitalen, kommunalen Suchtberatung laut. Deswegen setzt sich das Suchthilfezentrum Hattingen/Sprockhövel verstärkt mit dem Thema Digitalisierung auseinander.
- Mehr Infos zum Suchthilfezentrum gibt es unter Telefon: 02324 92560 oder per E-Mail an: shz-hattingen@caritas-en.de. Lesen Sie hier den ganzen Suchthilfebericht Hattingen/Sprockhövel.