Die Zahl der Jugendlichen, die nach der Schule ohne Ausbildungsplatz oder Anschlussqualifizierung dastehen und quasi abtauchen, steigt in der Corona-Krise massiv an. Das weist der aktuelle Arbeitslosenreport der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW) nach.
Gleichzeitig sinkt auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze – eine gefährliche Entwicklung. „Wir dürfen in der Corona-Krise die jungen Menschen im Übergang von der Schule in den Beruf nicht übersehen“, warnt der Matthias Schmitt, Direktor des Caritasverbandes für das Bistum Essen.
Laut. offizieller Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es 2020/2021 im Ennepe-Ruhr-Kreis genau 1999 Bewerber und Bewerberinnen auf dem Ausbildungsmarkt, von denen 122 unversorgt blieben (2019/2020: 2104, unversorgt 110).
Ein wichtiger Grund sind die beschränkten Zugangswege zu Berufsberatung, Schulsozialarbeit und zu Lehrerinnen und Lehrern. Dadurch stehen Schüler in Abgangsklassen in einer für sie ohnehin extrem belastenden Situation ohne Ansprechpartner da. Ihnen fehlen Personen, denen sie vertrauen und die ihnen im direkten Kontakt weiterhelfen können. „Jobcenter und Arbeitsagenturen waren und sind vielerorts schwer erreichbar“, sagt Schmitt.
„Am Ende tauchen die Jugendlichen dann ab und melden sich gar nicht erst ausbildungssuchend“, warnt er. Damit junge Menschen nicht schon beim Start ins Berufsleben verlorengehen, müsse die verlässliche Begleitung am Übergang von der Schule in den Beruf durch Lehrer, Schulsozialarbeit sowie durch die Beratungsfachkräfte der Arbeitsagenturen unbedingt verbindlich und engagiert wieder aufgenommen werden, fordern die Wohlfahrtsverbände.
„Wirtschaft und Arbeitsmarkt lechzen ja förmlich nach Fachkräften“, meint Schmitt, „also müssen wir den jungen Menschen hinterhergehen, ehe sie verloren gehen: mit aufsuchenden Angeboten, einer Mobilität der Arbeitsagenturen bis in die Sozialräume hinein, mit regelmäßiger Präsenzberatung beispielsweise in offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Zudem muss die Elternarbeit bei der Begleitung und Förderung junger Erwachsener mitgedacht und mitfinanziert werden.“
Dramatische Angebotsdefizite und enorme Passungsprobleme
Industrie und Handwerk müssen nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände aber auch für mehr Ausbildungsplätze sorgen. Zwar erhalte rein rechnerisch derzeit in NRW fast jeder Bewerber eine Stelle, doch in der Praxis brauche man einen Angebotsüberhang von 12,5 Prozent an Ausbildungsstellen. Denn in einzelnen Berufsbereichen ist die Versorgung sehr unterschiedlich.
Im Ennepe-Ruhr-Kreis wurden 2020/2021 1731 Ausbildungsplätze gemeldet, unbesetzt blieben 206 (2019/2020: 1860, unbesetzt 207). Daraus ergibt sich als Quote: 0,87 gemeldete Ausbildungsstellen pro Bewerber/Bewerberin (2019/2020: 0,88) bzw. 1,69 unbesetzte Azubistellen pro unversorgtem Bewerber (2019/2020: 1,88).
Schmitt: „Wir haben am Ausbildungsmarkt in NRW enorme Passungsprobleme. Neben verstärkten Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft, die wir dringend brauchen, um die Zahl der Ausbildungsplätze insgesamt zu steigern, braucht es mehr Einsatz, um junge Menschen bei der Aufnahme einer Berufsausbildung zu unterstützen. Ausbildungsvorbereitende Maßnahmen, aber auch Angebote des Jugendwohnens und Landesprogramme wie ‚Ausbildungsprogramm NRW‘ oder ‚Matchingberater‘ sind hilfreich. Leider stockt die Landesregierung diese Programme nicht auf, ja lässt sie zum Teil auslaufen. Das halten wir für eine Fehlentscheidung!“
Knapp 1.200 unversorgte Bewerber im Ruhrbistum ohne Alternative
Der Arbeitslosenreport NRW der Wohlfahrtsverbände zeigt auch, dass am Ende des Ausbildungsjahres 2020/21 sehr oft Bewerber ohne Schulabschluss sowie junge Menschen mit Schwerbehinderung oder ausländischer Staatsangehörigkeit zu denjenigen gehören, deren Situation besonders prekär ist.
Schmitts Meinung dazu: „1.200 junge Menschen, die am Ende eines Ausbildungsjahres ohne Ausbildungsplatz, ohne Fördermaßnahme, ohne weiteren Schulbesuch und ohne Arbeitsplatz als Unversorgte dastehen, ohne schulische oder berufliche Perspektive – das sind 1.200 junge Menschen zu viel!“ Diese jungen Menschen dürften nicht als „Generation Corona“ ins Abseits geraten. „Um sie zu erreichen, brauchen wir jetzt deutlich mehr aufsuchende Angebote im Sozialraum, auch in neuen und ungewöhnlichen Kooperationen, etwa mit Vereinen, offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Gerade ehemalige Förderschüler sollten dabei besondere Aufmerksamkeit finden“, fordert der Diözesancaritasdirektor.
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